Trigger mich nicht!
In unserem Kulturkreis wird das Prinzip des Getriggertseins nicht nur zunehmends falsch verstanden, sondern auch immer mehr missbräuchlich verwendet. Muss man das so hinnehmen?
Disclaimer
Die Sinnhaftigkeit davon, traumatisierte oder psychisch instabile Menschen in bestimmten Phasen ihres Heilungsprozesses gewissen Triggern nicht auzusetzen, soll hier weder thematisiert noch in Abrede gestellt werden. Gegenstand des Artikels ist etwas anderes. Sämtliche Inhalte stellen meine persönliche Laienmeinung dar und ersetzen nicht den Rat eines Arztes oder Psychologen.
Triggerwarnung
Dieser Artikel kann von der Norm abweichende Meinungen beinhalten.
Die Freiheit des einen Menschen, so sagt man, hört da auf, wo die des anderen beginnt. Doch was bedeutet das eigentlich?
Wir leben in einer Zeit, in der die Äußerung "Ich bin getriggert" immer mehr ihren deklarativ-faktischen Charakter verliert und zum Imperativ wird. Im Rahmen eines Meinungsaustausches wird damit nämlich häufig impliziert, dass derjenige, der mit seiner Meinungsäußerung das Getriggertsein eines anderen ausgelöst hat, die inkriminierten Ansichten nicht mehr in Gegenwart der getriggerten Person zu äußern habe.
Aus Sicht der getriggerten Person hört somit die Freiheit des anderen, seine Meinung zu äußern, da auf, wo sie getriggert werden könnte. Was hat nun also mehr Gewicht? Das Interesse des einen Menschen, seine Meinung frei äußern zu können, oder das des anderen, nicht getriggert zu werden? Die Klärung dieser Frage wirft zuallererst die Notwendigkeit einer Begriffsdefinition auf.
Was bedeutet Getriggertsein? Eine Begriffsdefinition
Unter Getriggertsein versteht man eine überschießende emotionale Reaktion, die in ihrer Intensität nicht dem Anlass angepasst ist. Im Zustand des Getriggertseins fällt es aufgrund der gesteigerten Emotionalität schwer, die Dinge nüchtern, objektiv und rational zu sehen. Der Affektgehalt der Reaktion deutet darauf hin, dass ein Bereich des eigenen Seelenlebens berührt wurde, der verdrängt, abgewehrt, verletzt oder in einer anderen Form unbewusst ist.
Aus meiner laienhaften Begriffsdefinition geht bereits hervor, dass der Zustand des Getriggertseins tatsächlich einen imperativen Charakter hat. Dieser richtet sich jedoch nicht an den Triggernden, sondern an den Getriggerten selbst. Er fungiert als Wegweiser zu unbewussten Aspekten der Psyche, die der Aufmerksamkeit bedürfen. Er zeigt an, dass eine psychische Anpassung an die Realität gefordert ist. Der richtige Umgang mit Triggern besteht daher nicht darin, deren Auslöser zu schelten, sondern ihnen mit Neugierde zu folgen.
Unsere Kultur geht immer mehr in die Richtung, die diversen Trigger der Menschen als sakrosankt zu betrachten. Mit Triggerwarnungen in allen Medien wird eine sterile Umgebung geschaffen, die der kleinsten Befindlichkeit eines jeden Rechnung tragen soll. Es gibt sogar schon die Triggerwarnung "Sprache", wenn in einem Film über einen Zeitraum von 90 Minuten zwei Mal ein geringfügig unflätiges Wort vorkommt (Aber es gibt keine Triggerwarnung für "Der Hund stirbt" - das soll mal einer verstehen!). Aber dient das dem Menschen und seiner psychischen Entwicklung wirklich?
Was würde mit dem Immunsystem passieren, wenn sich der Mensch nur mehr in einem desinfizierten, sterilen Umfeld bewegt? Würde es nicht völlig seine Kompetenz verlieren? Seine Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen und dadurch stärker zu werden? Und wäre das sterile Umfeld nicht letztlich eine künstliche Blase, die mit der Realität strenggenommen nichts zu tun hat?
Wenn wir alle Trigger entfernen und vermeiden, passiert dann mit der Psyche des Menschen nicht dasselbe wie mit einem arbeitslosen Immunsystem? Nimmt ihm das nicht die Möglichkeit, in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt Resilienz zu erwerben und zu einem mündigen Individuum zu werden? Und lässt es ihn nicht letztlich zu einer wunderlichen Kreatur in einer ideologischen Blase werden, die er zwar womöglich mit anderen wunderlichen Kreaturen teilt, die aber nichtsdestoweniger mit der Realität nur wenig gemein hat?
Was also tun mit dem Triggerproblem?
Das Aufzeigen von Missständen trägt per se noch nichts zur Lösung eines Problems bei. Wie also umgehen mit dem eigenen Getriggertsein? Wie wäre es, wenn wir triggernde Situationen wieder als das betrachten, was sie eigentlich sind: Eine Aufforderung, genauer hinzuschauen und die Verantwortung für das eigene Seelenleben zu übernehmen?
Mangelt es an der nötigen psychischen Stabilität für eine selbständige Auseinandersetzung mit triggernden Themen, ist die Arbeit mit einem Therapeuten in jedem Fall empfehlenswert. Bei ausreichender seelischer Gesundheit kann es reichen, die Einstellung zur triggernden Situation zu ändern. Schafft man es, trotz emotionaler Aufwallung reflektiert zu bleiben und in den Modus der Selbstbeobachtung zu wechseln, eröffnen sich große Wachstumspotenziale.
In der Praxis könnte das etwa so aussehen: Ich beobachte an mir eine emotionale Reaktion, die in ihrer Intensität nicht dem Anlass entspricht (und ja - das allein erfordert schon ein überdurchschnittliches Maß an Selbstreflexion). Schaffe ich es, so weit bei mir zu bleiben, dass ich nicht ins Ausagieren gehe und stattdessen einen Forschergeist entwickle, der darauf brennt, etwas Neues über sich selbst zu erfahren, auch wenn es initial unangenehm ist?
Was, wenn es mir gelingt, ruhig zu bleiben und mir Fragen zu stellen wie: Woher kenne ich dieses Gefühl? Wo in meinem Körper spüre ich es? Wann ist es mir erstmals begegnet? Welche Assoziationen habe ich zur auslösenden Situation? Ist mir etwas Ähnliches in anderer Konstellation schon einmal oder öfter passiert? Was ist der gemeinsame Nenner dieser Situationen? Welche ist die älteste?
Eines ist gewiss: Der Sturm emotionaler Aufwallung wird vorüberziehen. Aber ob wir uns wie ein willenloses Blatt durch die Luft wirbeln lassen oder reflektiert und mit beiden Beinen auf dem Boden im Auge des Sturms stehen, liegt in unserer Entscheidung. Und damit auch, ob wir uns nachher als Opfer fühlen oder als starker, eigenverantwortlicher Mensch, der wieder ein Stück mehr an Resilienz und Erkenntnis dazugewonnen hat.
... Und was tun mit leicht triggerbaren Personen?
Ich kann naturgemäß nur für mich selbst sprechen, aber ich möchte nicht in einer Welt leben, in der man jedes Wort auf die Waagschale werfen muss, weil irgendjemand getriggert, offended oder sonstwie affiziert sein könnte. Das menschliche Zusammenleben ist kompliziert genug, da braucht es diese zusätzliche Erschwernis wirklich nicht.
Respektvoll miteinander umgehen - ja unbedingt. Aber es sollte niemals ein Zweifel daran entstehen, dass jeder Mensch vollumfänglich seine (möglicherweise auch unpopuläre) Meinung äußern darf - und dass die Reaktion, die in einem anderen Menschen dadurch ausgelöst wird, ebendiesem gehört und nicht zu jemand anderes Problem gemacht werden darf.